Die Stadt, in der die Butter nie weich wird

We’re one month in! Nach meinem ersten Monat in diesem fremden, fernen Land, möchte ich hier gerne zusammenfassen, was mir in den letzten Wochen so aufgefallen ist, was ich empfunden habe, was ich toll finde und woran ich mich noch gewöhnen muss.

Zuerst möchte ich aber sagen, dass ich natürlich nicht alles festhalten kann und dass es meine persönlichen Eindrücke sind, die sowohl Sucre, als auch Santa Cruz, aber hauptsächlich La Paz betreffen. Nach diesem einen Monat kann ich aber bereits sagen, dass Bolivien ein tolles Land mit vielen Facetten, unglaublichen Landschaften, einer faszinierenden Kultur und tollen Leuten ist, in das man sich sehr schnell verlieben kann, wenn man es so annimmt, wie es ist.


Noch etwas vorweg, weil das Ganze etwas länger geworden ist als geplant… Ich habe eine weitere Spendenaktion gestartet, um dem Kinderhort ein kleines Weihnachtsgeschenk mavhen zu können und freue mich über jeden Euro, der dazu beiträgt, dass die Educadores und Kinder vor Ort ein etwas schöneres Weihnachtsfest haben können.

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Anders als man vielleicht erwarten würde oder viel mehr anders als ich erwartet hatte, ist Bolivien ein Land, in welchem Nachhaltigkeit und Umweltschutz sehr präsent sind. So fand direkt zu Beginn unseres Lebens in La Paz ein landesweiter, autofreier Tag statt, der die sonst so überfüllten Straßen in einen einzigen Markt verwandelte, auf dem man von Schokoobst bis Autotüren alles bekommen konnte. Zuemlich beeindruckend, eine Autotür haben wir allerdings erstmal nicht gekauft, die sind so schwer zu transportieren… Der Verzicht auf Heizungen und Isolation der Türen und Fenster widerrum ist wohl weniger aus reinen Umweltgründen… Zumal sich die Beschaffung wirklich lohnen würde, denn ich habe in meinen ersten Wochen in La Paz gefroren wie noch nie in meinem Leben und das obwohl ich mit 4-5 Klamottenschichten ausgestattet war. Ich bezweifle, dass meine Hände jemals wieder warm werden können… Ein weiteres Umweltmerkmal sind die Schilder, die sich in beinahe jeden Park und an jedem Baum finden, die ermahnen und belehren, dass man seinen Müll in den Mülleimer wirft, dass Bäume eine wichtige Grundlage des Lebens sind, wie lange es braucht, bis Plastik abgebaut ist oder Ähnliches. Ein Umstand, den ich als „Hobby-Öko“ sehr gut finde. Gleichzeitig bekommt man den Eindruck, dass diese Schilder dringend notwendig sind, allerdings nicht nur in den Parks sondern hauptsächlich in den Randgebieten, wo der Müll in Massen am Straßenrand liegt und die Hunde darin nach Nahrung suchen. Auch muss man im Supermarkt oder auf dem Markt immer zweimal sagen, dass man keine Plastiktüte braucht. Nach diesem kleinen Hindernis ist ein plastikfreies Einkaufen allerdings gut machbar, dank der großen Märkte, die hier in quasi jedem Viertel zu finden und so schnell und zu Fuß zu erreichen sind und eine tolle Auswahl an (hauptsächlich) Obst und Gemüse haben. Es ist tatsächlich etwas dran, dass Mangos, Avocados, Mandarinen und Co. hier einfach besser schmecken.

Aber auch weiter weg kommt man in La Paz sehr umweltfreundlich. Die Telefericos fahren emissionsfrei und verbinden die ganze Stadt. Sie sind sehr modern (die älteste Linie ist gerade einmal 5 Jahre alt) und sehr sauber. Ich habe allerdings für mich festgestellt, dass sich die Teleferico-Fahrt zur Arbeit für mich nicht lohnt, trotz Bequemlichkeit, Sauberkeit und toller Aussicht. Von meinem Arbeitspatz aus müsste ich mit dem Bus zur nächsten Teleferico-Station, um von dort mit 4 verschiedenen Linien zu fahren und schlussendlich einen letzten Bus nehmen, um nach Hause zu gelangen. Das Ganze kostet mich dann 12, statt 8 Bolivianos, dauert gute 30 Minuten länger (da die Strecke einige Umwege beinhaltet) und bedeutet 5, statt einmal umsteigen. Aktuell kann ich mir nicht vorstellen, warum ich diesen Weg bevorzugen sollte, aber vielleicht überbekommt mich ja mal eine unbändige Lust darauf.

Zum Beispiel, weil die Fortbewegung in den Micros (Kleinbusse für etwa 15 Personen) zwar sehr einfach und günstig (für meinen Arbeitsweg zahle ich pro Tag nur etwa 1€) ist, aber durchaus auch etwas unbequem… Mit meinen 1,74cm bin ich schon zu groß, um gerade in den Bussen sitzen zu können und sitze daher schräg und manchmal sogar mit eingezogenem Kopf, um bei einem der großzügigen Löcher, die zahlreich in die Straßen integriert sind, nicht durch die dünne und oft recht klapprig erscheinende Decke zu schlagen. Das Fehlen jeglicher Federung der Busse und der aggressive Fahrstil á la „wer zu erst die Schnauze drin hat“ oder wer zuerst hupt hat Vorfahrt, macht die Situation nicht besser und lässt mich für jedes bisschen Nackenmuskulatur sehr dankbar sein. Hinzu kommt, dass die Fahrer meiner Meinung nach häufig gar nicht alles im Blick haben können was so auf den vollen Straßen passiert, da etwa 3/4 ihre Frontscheibe mit Schildern bestückt sind, die anzeigen wo der Micro langfahren wird. Trotzdem finde ich das Prinzip des Ein- und Aussteigens wo man will (unabhängig von irgendwelchen Haltestellen) total gut und fahre gerne mit den Micros, auch wenn sie mir auf Dauer Rückenschmerzen bereiten…

Mein Sitzwinkel im Bus…

„Auf Dauer“ ist hier allerdings relativ, denn die Zeit verliert langsam an Bedeutung, was nicht nur an der „hora boliviana“ (das allgemeine Zu-spät-kommen der Bolivianer) liegt, sondern auch an den gern über 12-stündigen Busfahrten zwischen den Städten oder der 90 minütigen Fahrt zum Hogar und zurück. So wurde mir zum Beispiel gesagt, dass das Hogar um 8:30 Uhr öffnet, aber jedes Mal, die ich zu Beginn pünktlich um diese Zeit da war, kamen die anderen Mitarbeiter erst so gegen 9 Uhr eingetrudelt, weswegen ich beschlossen habe ebenfalls erst später zu kommen. Auch als wir die monatliche Mitarbeiter Reunion hatten und ausdrücklich gesagt wurde, dass es wichtig sei, dass alle um 9 Uhr da sind, kamen die letzten um kurz vor 10 Uhr und wurden ohne große Entschuldigung lachend empfangen.

Was ich dort auch feststellte: Kinder mit auf die Arbeit zu nehmen ist ganz normal, was ich bei mir im Kinderheim auch verstehe, aber auch meine Mitbewohnerin Ronja hat mir von mitgebrachten Kindern auf Arbeit erzählt und sie ist in einem Krankenhaus…

Und! Something changed… Ich habe Fleisch gegessen. Mutiert sie wieder zum Allesfresser? Sind ihr die Tiere jetzt egal? Die Umwelt? Nein. Aber ich habe für mich entschieden, dass ich es für weniger richtig empfinde im Hogar, welcher sich gerade über Wasser halten kann, das Essen zu verschmähen, das zwei Freiwillige Helfer täglich zubereiten. Wenn es also das Fleisch (welches in Bolivien zu einem jeden Essen dazu gehört) einzeln und unabhängig vom Rest gibt, dann bekomme ich nur die Beilagen, was bei bolivianischen Portionsbergen längst reicht. Wenn das Fleisch mit etwas gemischt wird, dann nehmen die beiden Köche oft eine Portion für mich heraus, bevor sie die Würstchen, das Hühnchen o. Ä. untermischen, aber manchmal geht das nicht oder sie denken einfach nicht daran. Dann möchte ich nicht wie die verwöhnte, weiße Europäerin rüberkommen und nach „gut und böse“ auspicken. Entsprechend bekomme ich eine Portion ohne die großen Brocken und die kleinen Stücke esse ich dann eben mit. Eine Ausnahme war allerdings die Suppe mit ganzen Hühnerbeinen… Da fiel es mir schon schwer, sie den Kindern hin zu stellen. Aber da konnte ich sagen, dass ich keine will, bevor sie mir aufgemacht wurde. Und es gab noch einen Fall. Anfang des Monats trifft sich die gesamte Heimfamilie (alle Mitarbeiter), um den kommenden Monat zu planen. Eine der Professoras kocht das Mittagessen und so sollte der September mit Salteñas starten. Mit Gemüse und Fleisch gefüllte Teigtaschen, die ein sehr typisches Essen sind. Wieder wollte ich das Essen nicht verschmähen und außerdem hat mir jemand beigebracht alles zu probieren, was ich gerade bei traditionellen Gerichten sehr wichtig finde. Also habe ich über das Fleisch hinweg gesehen. Es war auch wirklich lecker, ohne Rind und Hühnchen wäre es aber wahrscheinlich noch etwas besser gewesen…

Zu Hause hatten wir anfangs einige Probleme, gerade was das Kochen angeht, denn obwohl wir die Küche unserer Gastfamilie mitbenutzen, von der man hätte denken können, dass alles da ist was man so braucht, mussten wir feststellen, dass Pfeffer offensichtlich nicht Gewürz der Wahl ist und auch sonst nur schwer zu bekommen. Meine Hoffnung Muskat auftreiben zu können, ist mittlerweile völlig verflogen, dafür kommt jetzt an fast jedes Essen Oregano, davon haben wir nämlich eimerweise. Und die Sache mit der Butter… Auch wenn wir unsere Butter auf der Mikrowelle lagern, bleibt sie steinhart, so kalt ist es, auch im Haus… Essenstechnisch habe ich auch festgestellt, dass ich nicht jeden Tag eine Suppe brauche, was allerdings Bestandteil des bolivianischen Mittagsessens ist. Naja, im Hogar kann ich mir einfach eine Kinderportion nehmen und am Wochenende zuhause kochen wir keine Suppe. Dafür gibt es jeden Tag 2-3 Tees. Auch wenn ich eigentlich kein Tee-Mensch bin, ist er hier absolut notwendig, um sich morgens und abends etwas aufzuwärmen. Eins der Highlights eines jeden Tages. Genauso wie unser kleiner Heizkörper, die sind hier nämlich auch keine Selbstverständlichkeit.

Ebenfalls habe ich gelernt, wie unfassbar man sich über warmes Wasser freuen kann, hauptsächlich am späten Nachmittag anzutreffen, morgens und abends bietet die Dusche meist nur Temperaturen knapp überm Gefrierpunkt. Daher heißt es für uns direkt nach der Arbeit zu duschen, meistens wechseln wir uns ab und duschen jeder nur jeden zweiten Tag. Für mich eigentlich ungewöhlich, aber auch daran habe ich mich schnell gewöhnt.

Weniger schnell ging es beim (von meinen Mitfreiwilligen und mir gerne genannten) „Schisseimer“. Die Abwasserrohre in den meisten lateinamerikanischen Ländern sind so dünn, dass das Toilettenpapier nicht in die Toilette, sondern in einen nebenstehenden Mülleimer geworfen wird. Wie oft ich am Anfang daran gescheitert bin… Was mir nach wie vor schwierig und ineffektiv erscheint ist die Handwäsche. Mit (meist) kaltem Wasser und momentan noch „Rei in der Tube“ meine Klamotten mehr abzuspülen als zu waschen, sie dann beim Auswringen gefühlt komplett zu verformen und sie am Tag später recht steif von der Leine zu holen, gefällt mir irgendwie nicht so. Wie ich es jemals schaffen soll meine Bettwäsche zu waschen… Immerhin dürfen wir jetzt die Waschmaschine der Gastfamilie mitbenutzen. Aber Vorsicht! Das heißt nicht, dass wir damit waschen können. Das Gerät wird ausschließlich zum Ausspülen und „Vorauswringen“ der Klamotten genutzt, gewaschen wird trotzdem von Hand, mit dem eiskalten Wasser im Hof, um sie dann an unserer ziemlich provisorischen Wäscheleine aufzuhängen, wo sie über Nacht dann kurz friert, aber über den nächsten Tag trockenen kann.

Andere Dinge die mir noch in Erinnerung geblieben sind: Es gibt die Tendenz 15 Läden gleicher Sorte direkt nebeneinander zu platzieren. So kann man beispielsweise auf der Strecke vom Flughafen in Santa Cruz in Richtung Stadt an geschätzen 20 Stellen Landwirtschaftsfahrzeuge und Bagger kaufen, in der Nähe meines Arbeitsplatzes auf einer Strecke von 500m in jeder Tür Autoreifen bekommen und sich in Sucre in einer Straße zwischen unzähligen Zahnärzten entscheiden.

Frauen, die traditionelle Kleidung tragen haben zum Einen quasi immer ein buntes Tuch um den Hals, in dem sich Einkäufe oder Kinder befinden (ja, ich bediene hier ein Stereotyp) und zum anderen scheinen diese Damen in sämtlichen Situationen des Lebens „Vorfahrt“zu haben.

Die Idee Säfte, Milch und Jogurt einfach in Plastik zu packen finde ich ziemlich befremdlich. Besonders weil es dazu führt, dass im Hogar quasi jeden Tag eine von diesen Tüten ausläuft.

Der durchschnittliche Bolivianer läuft sehr langsam, vermutlich hat das einen Zusammenhang mit dem Unwichtigwerden der Zeit. Wie unser Gastvater uns erklärt hat: „Wenn du auf dem Weg zur Arbeit einen alten Freund triffst, dann ist dieser viel wichtiger als die Arbeit, dann geht man erstmal in ein Café, arbeiten kann man ja danach noch.“

Soviel erstmal zu meinen bisherigen Eindrücken, es ist doch mehr geworden als erwartet. Wer also bis hierhin durchgehalten hat… Hut ab! Ich bleibe gespannt, was ich hier noch so lernen und erfahren kann.

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Veröffentlicht von lalenalapaz

Hi ich bin Lena, 18 Jahre und aktuell in Bolivien, wo ich ein FSJ in einem Kinderhort in La Paz mache. Außerdem versuche ich mir so viel wie möglich anzuschauen. Follow me around!!!

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1 Kommentar

  1. So unterhaltsam, was du erlebst!! Die Stadt, in der die Butter nie weich wird, ich kann es kaum erwarten…

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